Ostergrüße
"Darf ich bitten?"
In der Tanzschule habe ich
nicht nur das Tanzen gelernt, sondern bin auch mit dieser höflichen
Bitte auf junge Tanzpartnerinnen zugegangen. „Darf ich bitten?“ – Heute
klingt diese Bitte als Tanzeinladung schon etwas altmodisch. Vielleicht
würde man heute eher sagen, „Hast du Lust mit mir zu tanzen?“ oder
„Möchtest du tanzen?“. Am schlimmsten wäre es für mich gewesen, alleine
am Platz zu sitzen und alle anderen tanzen zu sehen. Schöner ist es dann
doch mitzutanzen. Denn die Bewegung des Tanzes überträgt sich auf die
Stimmung und man spürt regelrecht das pralle Leben.
Lord of the Dance
Vielleicht wurde deshalb in
der irischen Frömmigkeit das Motiv vom tanzenden Christus lange
gepflegt. In einem Musical gibt es ein Lied mit den Worten „Lord of the
Dance“, was so viel heißt wie „Herr des Tanzes“. Gemeint ist damit Jesus
Christus. Doch wie kommt man darauf, sich ausgerechnet Jesus als Tänzer
vorzustellen?
Die Heilige Schrift weiß um die Kraft des
Tanzes. So hören wir schon im Alten Testament von der tanzenden Mirjam,
der Schwester von Moses und Aaron. Nachdem das Volk Israel aus der
ägyptischen Knechtschaft befreit wurde, griff sie beim Durchzug durch
das Rote Meer zur Pauke und tanzte und sang fröhlich: „Singt dem Herrn
ein Lied, denn er ist hoch erhaben. Rosse und Wagen warf er ins Meer.“
(Ex 15,20 ff.) Oder König David, der seine Freude über die
wiedergewonnene Bundeslade nicht nur innerlich und mit einem schön
vorgetragenen Lied zum Ausdruck bringt, sondern geradezu außer sich vor
Freude tanzt. „Und als sie ihn mit der Lade Gottes aus dem Hause
Abinadabs führten, der auf dem Hügel wohnte, und Achjo vor der Lade
herging, tanzten David und ganz Israel vor dem Herrn her mit aller Macht
im Reigen, mit Liedern, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen
und Zimbeln.“ (2 Sam 6,14). Auch Jesus kannte offenbar den
ausgelassenen gemeinsamen Tanz, denn er nimmt das Motiv auf in seiner
Gleichnisrede vom verlorenen Sohn (Lk 15,25). Dort lässt der barmherzige
Vater nicht nur das Mastkalb schlachten und seinem verlorenen und
wiedergewonnenen Sohn ein Festgewand überziehen, sondern es erklingt
Musik und Tanz, weil sein Sohn für ihn tot war und nun wieder lebt, weil
er zum Vater zurückgekehrt ist. In den Apokryphen (nicht im Kanon der
biblischen Schriften aufgenommen) wird sogar in der Apostelgeschichte
des Johannes berichtet, wie Jesus nach dem Abendmahl nicht nur gesungen
habe, sondern wie er mit seinen Jüngern getanzt habe. Der Tanz als
Ausdruck dafür, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten wird. Der
Kirchenlehrer Hippolyt spricht sogar von Jesus als einem Vortänzer, der
mich führt. Ich muss gar nichts tun, sondern ich brauche nur seinem
österlichen Tanzschritt zu folgen.
Denn Ostern heißt "aufstehen"
In diesem Kontext gibt es eine schöne Erzählung: In einer großen gotischen Kathedrale Frankreichs, in Chartre, gibt es im Eingangsbereich ein im Fußboden kunstvoll in Steinornamenten gestaltetes Labyrinth. An einem Tag des Jahres durchrutschten keine bußfertigen Pilger das Labyrinth, sondern da stellte sich der Bischof mit seinem Domkapitel um das Labyrinth herum. Der jüngste Priester reichte ihm einen großen Ball, den man mit beiden Händen umfassen musste und der golden schimmerte. Und dann begann der Bischof, im Walzertakt über die Irrwege des Labyrinths zu tanzen. Dabei warf er den Ball einem der Domkapitulare zu und lud ihn so zum Mittanzen ein. Dieses Spiel wiederholte sich so lange, bis alle über die Labyrinthwege hinwegtanzten. Alle, die das Osterevangelium gehört hatten, sahen im zugeworfenen goldenen Ball die Ostersonne, die Licht ins Leben und Menschen wieder neu in Bewegung bringt. Ein Labyrinth, ein Tanz, ein Ball: eine sichtbare Osterpredigt. Die verschlungenen und verworrenen Wege des Lebenslabyrinths bleiben. Sie werden nicht einfach begradigt. Schicksalsschläge und Sackgassen gehören auch weiterhin zu meiner menschlichen Existenz. Vieles in meinem Leben wird auch weiterhin unverständlich bleiben. Aber: Der Ball, der über das Labyrinth fliegt und vom einen zum anderen geworfen wird, sagt mir: Starr nicht nur auf die Sackgassen und verschlungenen, schwierigen Wege deines Lebens. Schau auch nach oben. Lass dich durch die Osterbotschaft einladen, neue Schritte zu wagen. Denn Ostern heißt „aufstehen“, ins Leben gehen, das Tanzbein schwingen. Stoß dich nicht andauernd auf die Begrenzungen, die dir das Leben eng machen, sondern vertrau darauf: Über dir gibt es einen, der wieder Bewegung und neue Möglichkeiten in dein Leben bringen will.
Der Herr bittet Ostern zum Tanz, er fordert mich geradezu auf mitzutanzen. Keine Angst, er führt mich im österlichen Tanzrhythmus über das Parkett dieser Welt. Er bringt Bewegung in mein Leben. Er ist der beste Vortänzer des Lebens. Er ist „Lord of the Dance!“ – der „Herr des Tanzes!“ Das Leben tanzt mit ihm dem Tod davon! Denn er ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden. Halleluja. – „Darf ich bitten?“