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Pfingsten 2021
Pfingsten 2021

Pfingsten 2021

von Direktor und Diözesanjugendpfarrer Stephan Schröder

Huhn oder Adler?

Vor einigen Jahren erschien ein Buch mit dem Titel: „Der Adler und das Huhn. Wie der Mensch Mensch wird.“ Darin erzählt der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff eine Geschichte aus dem kleinen westafrikanischen Land Ghana von einem Adler, der glaubte ein Huhn zu sein:


Es war einmal ein Bauer. Eines Tages fand er einen jungen Adler, noch blind und halbtot gehackt. Er war wohl von seinen stärkeren Adlergeschwistern aus dem Nest gestoßen worden. Daheim steckte der Bauer den zitternden kleinen Adler in den Hühnerstall. Er fraß mit den Hühnern und fügte sich ein in die Hackordnung. Nach langer Zeit kam ein Vogelhändler vorbei, sah den großen Huhnadler im Gehege und sagte zu dem Bauern: „Dieser Vogel da ist doch kein Huhn, das ist ein Adler!“ „Mag sein“, erwiderte der Bauer, „das war tatsächlich einmal ein Adler, aber ich habe ihn mit den Hühnern aufgezogen, und nach all der Zeit ist er kein Adler mehr, er ist ein Huhn geworden“, „Nein“, sagte der Vogelhändler, „er hat das Herz eines Adlers!“ Er nahm das Tier aus dem Hühnerstall, stieg mit ihm auf einen Berg und sagte beschwörend zu ihm: „Wenn du ein richtiger Adler bist, dann denk nicht mehr an die Hühner, schau der strahlenden Sonne entgegen, öffne deine Flügel und schwing dich in die Lüfte!“ Da füllten sich die Adleraugen mit dem Glanz der Sonne und der Weite des Horizonts. Der gewaltige Vogel bebte am ganzen Körper. Er krächzte wie ein Adler, schlug herrschaftlich seine Schwingen und begann in die Höhe zu steigen, bis sich seine Umrisse im tiefen Blau des Himmels verloren.

Pfingsten weckt den Adler in uns

Wozu zählt ihr euch? Seid ihr eher Huhn oder Adler? - Hat euch schon jemand gesagt, dass ein Adlerherz in euch steckt?
Zum Pfingstfest wird der Adler in uns geweckt. Denn als Christen brauchen wir kein Hühnerdasein fristen, wir können vielmehr den Hühnerstall unseres Lebens und unserer abgesteckten Welt verlassen, wir können entdecken, was in uns steckt und wieder unsere Flügel zum Fliegen einsetzen. Der Heilige Geist will den schlafenden oder verschütteten Adler in uns wecken, adlergleich auf- und davonzufliegen, der goldenen Sonne entgegen und neuen Horizonten.


Auch die Jünger waren nach der Himmelfahrt Jesu zuerst wie aufgescheuchte Hühner. Sie haben nur noch ihr Gehege im Blick gehabt, sie haben vergessen, dass in ihnen ein Adlerherz schlägt. In der Apostelgeschichte wird berichtet, dass sich die Jünger am gleichen Ort befanden und plötzlich kam ein Brausen vom Himmel her und erfüllte das ganze Haus. Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt. Das ist sozusagen der Moment, wo in ihnen das Adlerherz wieder zum Leben erwacht, wo sie begreifen, dass sie Flügel haben, dass sie fliegen können. Sie verlassen sozusagen ihren Hühnerstall, also ihre Häuser, wo sie sich sicher fühlten und wagen es offen ihren Glauben zu bekennen. Sie besinnen sich wieder auf die Flügel, die ihnen mit Jesu Hilfe gewachsen sind, was sie durch Jesus im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt hat. Jesus hat ihnen ein Beispiel gegeben, wozu man in der Lage ist, wenn Gott in mein Leben tritt. Seine gute Nachricht will die Menschen herausführen aus den Hühnerställen dieser Welt. Ja, wir haben Flügel, wir haben ein Adlerherz. Der Heilige Geist erinnert uns daran und will uns regelrecht beflügeln.

Auch in unserer Kirche entdecke ich die Hühner und die Adler. Die einen, die nur noch auf den Boden dieser Welt schauen, die sich in ihrem abgesteckten Horizont des Hühnerstalls, also ihrer kleinen begrenzten Welt bewegen und leben. Und auch das Bild von den aufgescheuchten Hühnern trifft auf unsere Kirche und uns Christinnen und Christen leider allzu häufig zu. Einer regt sich über den anderen auf, einer hackt dem anderen die Augen aus und plötzlich ist der ganze Hühnerstall in heller Aufregung und läuft wild gackernd umher. Es gibt die Bewahrer und die Fortschrittlichen, die Reformer und die Konservativen. Einer ist lauter als der andere und ich komme mir manchmal wirklich vor wie im Hühnerstall.

Im Buch Jesaja (40,31) heißt es übrigens:
Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt

Hühnerstall oder Himmel? Huhn oder Adler? – Komm Heiliger Geist, wecke in uns Christinnen und Christen das Adlerherz, damit wir die Enge des Hühnerstalls überwinden und die Weite des Himmels entdecken.

Ich wünsche allen ein gesegnetes und vor allem ein beflügelndes Pfingstfest!


Euer und Ihr

Stephan Schröder
(Direktor und Diözesanjugendpfarrer)